Das mobile Ding des Monats NOVEMBER
Das Kleid der Kustodin
Auf aufgepolsterten Kleiderbügeln hängend, von Seiden-papier ummantelt und in Kartons abgelegt befindet sich die „Trachtensammlung“ des Krahuletz-Museums Eg-genburg seit Ende 2017 in einem neuen Depot in der ehemaligen Möbelfabrik Altmann unweit des Museums. Dank mehrjähriger Arbeiten der Universität für Angewan-dte Kunst in Wien sind die Objekte jetzt aktuellen konser-vatorischen Standards entsprechend aufbewahrt. Eines davon ist ein Kleid aus dunkelblauer (auf der Fotografie schwarz anmutender) Seide in Atlasbindung. Es ist in sich mit stilisierten Blättern und Knospen gemustert. Das Oberteil – mit weißem Leinen gefüttert – weist einen großen Kragen auf, der an den Kanten mit einer Rosen-rüsche besetzt ist und in der Rückenmitte spitz zuläuft. Materialsparend aus mehreren Stücken zusammenge-näht, ist er nur an einer Stelle am Kleid fixiert. Wäre er schon derart lose gewesen, als das Kleid noch getragen wurde, hätte er im Freien im Wind geflattert und damit zu einem spezifischen, besonders lebendigen Bewe-gungsbild beigetragen. In der vorderen Mitte wird das Kleid durch Hafteln und Drucker aus Metall verschlossen oder geöffnet. Die langen, bauschigen Ärmel ziert eben-falls eine Rosenrüsche. In der Taille fällt ein aufspringen-des „Schößerl“, am Saum des vorne geschlitzten unge-fütterten Rocks ein kunstseidenes „Kittelblech“ (Kittel-besatz) auf. Wie fragil die Seide ist, zeigt sich besonders deutlich an einem Riss. Es scheint, als sei das Kleid hier umgelegt und umgebogen worden. Offenbar hat eine Schneiderin das Kleid (Länge: 145 cm, Breite: 60 cm, Tiefe: 12 cm) einer Trägerin auf den Leib gearbeitet, de-ren etwas korpulenterer Körperbau sich erahnen lässt.
Bei der Trägerin handelte es sich um Angela Stifft-Gott-lieb (1881–1941), die, bis 1926 als Pfarrersköchin tätig, 1929 –1941 als Kustodin am Krahuletz-Museum wirkte. Ihr Kleid hatte sie sich in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre anfertigen lassen. Als „Eggenburger Bürgerkleid“ trug sie es zusammen mit einer „Raabser Haube“ bei kirchlichen Prozessionen und anderen Anlässen. Ebenso wie die Haube ist auch das Kleid kein „Original“, sondern die Nachahmung eines älteren Stücks aus der „Trachten-sammlung“ des Museums: eines Spenzerkleids aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, wie es sich – unter dem Einfluss von Empire und Biedermeier – zu einem beliebten Kleidungsstück auch in ländlich-klein-bürgerlichen Milieus in weiten Teilen Niederösterreichs entwickelt hatte. Mehrere Exemplare gelangten auch in die „Trachtensammlung“ des Krahuletz-Museums, die sich aus Stücken des Sammlers Johann Krahuletz (1848- 1928) und aus dessen Familienkreis sowie aus Spenden der Bevölkerung zusammensetzte, vor allem aber aus Objekten des Eggenburger Notars, Vereinsfunktionärs, Geschichtsforschers und Kommunalpolitikers Eugen Frischauf (1866–1934).
Nach Meinung Stifft-Gottliebs ließ sich anhand der Be-stände belegen, dass es im Wald- und Weinviertel einmal eine recht einheitliche „Volkstracht“ gegeben habe. Die-se regional typologe Kleidung wollte sie „wieder einfüh-ren“, was aufgrund niedriger Preise für Seide, Samt und Waschstoff und mithilfe empfehlenswerter Anbieter in Eggenburg und Wien leicht zu bewerkstelligen sei. Ge-meinsam mit dem Volksbildungsreferat Niederösterreich gründete sie eine Trachten-Arbeitsgemeinschaft, es folg-ten eine Trachtenausstellung im Gemeindesaal und eine Trachtenschau. Als regelrechtes „Auferstehungsfest der Waldviertler Volkstracht“ zelebriert wurde dann eine Volksbildnertagung zur Trachtenpflege im Mai 1935 in Eggenburg, zu dem ein Trachtenumzug organisiert wur-de. Teile der regionalen Presse betonten mit Blick auf solche Aktivitäten das wachsende Interesse an der „ös-terreichischen Volkstracht“ in der europäischen Mode. Der Betonung des „Österreichischen“ und „Vaterländi-schen“ dürfte Stifft-Gottlieb – sie hatte 1932 den Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt – aber zumin-dest ambivalent gegenübergestanden haben.
Das Kleid der Kustodin – in Inventareinträgen als „Trach-tenkleid“ und „neuzeitliche Nachahmung eines alten Stü-ckes“ ausgewiesen – lässt sich mit verschiedenen Aspek-ten von Mobilität verknüpfen. Das Spenzerkleid, das als Vorlage diente, erzählt von der Diffusion von Kleidungs-stilen im Sinne einer „Verschiebung oder Ausweitung des Gebrauchs bestimmter Dinge“ (Hans Peter Hahn). Nach seinem Übergang ins Museum wurde das „Original“ nicht etwa „stillgelegt“, sondern für neue Anliegen mobilisiert, etwa als Exponat, Leihstück oder Modell zur Nachah-mung. Die schneiderische Gestaltung der „Nachahmung“ lässt den einstigen Zusammenhang des Objekts zu sei-ner Trägerin und ihren Körperbewegungen deutlich wer-den. Bei Veranstaltungen wie einem Trachtenumzug wa-ren diese Teil einer spezifischen raumschaffenden Praxis. Und diese wiederum hing mit politisch-gesellschaftlichen Bewegungen zusammen, für deren Anliegen das „Trach-tenkleid“ mobilisierbar war.
Reinhard Bodner, Institut für Geschichte des ländlichen Raums, St. Pölten
Abbildung: Krahuletz-Museum-Eggenburg, Inv.-Nr. TR 185, Seidenkleid
Für Hinweise dankt der Verfasser Mag.a Barbara Eisen-hardt, mit der zusammen er das Stück in Eggenburg betrachten durfte, sowie Dr. Johannes Tuzar und Mag.a Susanne Stökl vom Krahuletz-Museum Eggenburg.
Literaturhinweis: Franz Pieler, Vom Regionalmuseum zum „deutschen Bollwerk“. Angela Stifft-Gottlieb und das Krahuletzmuseum Eggenburg. In: Daniel Modl/Karl Peitler (Hrsg.): Archäologie in Österreich 1938–1945. Beiträge zum internationalen Symposium vom 27. bis 29. April 2015 am Universalmuseum Joanneum in Graz. Graz 2020, S. 236–253.
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